Die therapeutische Technik

In der Orgontherapie kommen drei Herangehensweisen zum Einsatz, um die natürliche Funktionsweise des Organismus wiederherzustellen:

Atmung

Der Patient wird aufgefordert, auf natürliche Weise durch den Mund zu atmen. Gewöhnlich spürt er nach ein paar Minuten an mehreren Stellen seines Körpers etwas: Kribbeln um den Mund herum, in den Händen und in den Füßen. (Reaktionen dieser Art repräsentieren eine erste Antwort des gepanzerten Organismus auf den durch die Atmung hervorgerufenen Anstieg des Energieniveaus. Sie verweisen darauf, daß die Atmungshemmung der erste Mechanismus ist, den sich das Kind aneignete, um lustvolle Gefühle unter Kontrolle zu bringen.)

Später in der Therapie kann der Patient so viel Atmen, wie er will, doch diese Erscheinungen werden nicht mehr auftreten. Zu den weiteren Reaktionen, die durch das Atmen hervorgerufen werden, gehören Schwindelgefühle (die Folge einer Blockierung des Augensegments, die man, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, bei allen Menschen findet), ein wachsendes Gefühl von Beklemmung und Angst (es sollte mittlerweile deutlich geworden sein, daß eine der wichtigsten Aufgaben, wenn nicht die Hauptaufgabe, der Panzerung im Vermeiden von Angst besteht) und vorübergehendes Kribbeln in verschiedenen Körperregionen (die Energie, die wieder zu fließen beginnt).

Im Verlauf der Behandlung verändern sich diese Reaktionen, einige werden schwächer, andere, wie die Angst, werden Schwankungen unterworfen sein. All dies zeigt uns, daß mit der Befreiung des natürlichen Energiekreislaufs des Organismus die Panzerung langsam nachgibt

Charakteranalyse

Analyse des Charakters bedeutet Konzentration auf die charakterlichen Haltungen, die sich der Patient dauerhaft angeeignet hat. Derartige Haltungen wurden als Abwehr gegen extrem unangenehme und schmerzhafte Gefühle eingenommen. Sie werden als integrale Bestandteile, als Grundlagen des eigenen Ichs empfunden („Herr Doktor, ich bin halt so!“ „Das ist eben meine Natur! Ich kann nichts daran ändern!“) und werden deshalb immer tapfer verteidigt. Charakterzüge können jedoch analysiert und verändert werden.

Eine korrekte Analyse des Charakters macht es möglich, das verworrene Geflecht der Charakterschichten auf logische Weise zu entwirren. Nachdem der Konflikt, der für die Entstehung dieser Schichten verantwortlich war, in Angriff genommen und bearbeitet wurde, lösen sie sich auf und weichen neuen wirklich natürlichen und rationalen Haltungen. Beispielsweise wird ein schüchterner und unterwürfiger Mensch mutiger und entschlossener werden; jemand, der immer abwesend ist und mit dem Kopf in den Wolken schwebt, wird mehr in Kontakt mit sich selbst und seiner Umgebung sein; der Überängstliche wird nur dann Angst verspüren, wenn es den Umständen gemäß ist; der Wankelmütige wird in die Lage versetzt, rationale Entscheidungen zu treffen.

Der Therapeut versucht bei der Analyse des Charakters, den Roten Faden eines Menschen zu identifizieren. Dieser Aspekt, der für jede charakteranalytische Behandlung grundlegend ist, kann als die eigentümliche Art und Weise definiert werden, mit der sich der Patient gegen Angst zur Wehr setzt. Er repräsentiert das, was bei ansonsten gleicher Diagnose die eine Person von der anderen abhebt und dem Therapeuten beim systematischen Abbau der Abwehr als Leitfaden dient.

In der Orgontherapie wird nicht versucht, einen Menschen in ein diagnostisches Schema hineinzuzwängen, um dann alle, die die gleiche Diagnose haben, auf identische Weise zu behandeln. Ganz im Gegenteil dient die Diagnose dazu, die therapeutische Intervention aus der biophysisch-charakterlichen Struktur der einzelnen Patienten abzuleiten, weshalb jede Behandlung einmalig und unwiederholbar ist.

Wie bereits angedeutet, ist in der Orgontherapie Diagnose gleichbedeutend mit Charakterdiagnose. So gut wie jeder Mensch hat während seiner Entwicklung Probleme durchgemacht, die mit einer spezifischen Entwicklungsphase verbunden sind. Damit sind die klassischen Freudianischen Entwicklungsphasen gemeint: oral, anal, phallisch und genital, plus der okularen Phase, die Baker 1967 einführte. Es sind die entscheidenden Stadien der Entwicklung, die den psycho-bio-emotionalen Gesamtzustand der Person bestimmen.

Jede einzelne dieser Phasen hat ihre Grundlage in einem Bereich des Körpers, einer erogenen Zone, der in der jeweiligen Entwicklungsphase energetisch besonders hoch geladen ist. Über die erogene Zone tritt man, gemäß der Art und Weise, die für die Zone charakteristisch ist, mit der Welt in Kontakt. Beispiele sind die Dependenz der oralen Phase oder die Halsstarrigkeit der analen Phase.

Wenn eine Entwicklungsphase nicht vollständig der nächsten Phase weicht, sondern mehr oder weniger ausgeprägt bleibt, sagt man, daß die betreffende Person eine Blockade hinsichtlich dieser Phase hat. Hat ein Mensch eine solche Blockade entwickelt, färbt sich sein Charakter und sein gesamtes Leben entsprechend. Beispielsweise wird eine orale Blockade durch gesteigertes Verlangen nach Essen, Neigung zum Rauchen oder ständigem Reden oder Unfähigkeit, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, evident werden. Das letztere geht darauf zurück, daß die kindliche Abhängigkeit nie ganz überwunden wurde.

Zwei grundlegende Formen der Blockade sind zu unterscheiden: die unterdrückte, bei der die Hemmung komplett war, und die unbefriedigte, bei der eine unerwartete oder exzessive Hemmung stattgefunden hat, nachdem das Kind bereits einen gewissen Grad an Befriedigung erlebt hatte.

Wenn die Diagnose gemacht und der Rote Faden identifiziert worden ist, schreitet die Behandlung in klaren Bahnen voran, was es dem Therapeuten oft erlaubt, den Verlauf der Entpanzerungsarbeit vorauszusehen. Er kann auf jeden Fall immer sagen, wo sich der Patient im Augenblick in der Therapie befindet.

Die biophysische Arbeit an den Muskeln

Die dritte Art der Beeinflussung in der Orgontherapie besteht aus der biophysischen Arbeit an der Muskulatur, d.h. an der muskulären bzw. somatischen Panzerung.

Wir haben bereits die funktionelle Verbindung zwischen den beiden Aspekten der Panzerung behandelt – den charakterlichen und den muskulären. Ein Charakterzug kann dementsprechend entweder durch Charakteranalyse oder durch Befreiung der spezifischen Emotion angegangen werden, die in einer bestimmten Muskelgruppe enthalten ist bzw. durch sie zurückgehalten wird.

Ein gutes Ergebnis erzielt man durch Drücken des Muskels oder der beteiligten Muskeln bis zu dem Punkt, an dem keine weitere Kontraktion mehr möglich ist. Wenn man korrekt vorgegangen ist, tritt die gefangene Emotion in all ihrer Intensität und dramatischen Kraft wieder in Erscheinung. Wenn ein spezifisches Trauma oder eine Erinnerung vorhanden ist, wird sich der Patient der betreffenden Episode, die sich gewöhnlich in der Kindheit abgespielt hat, in aller Intensität wieder so bewußt, als wenn er sie in diesem Moment wiedererleben würde. Das ist so, weil diese Emotion, die all die Zeit nicht ausgedrückt worden ist, sich endlich zeigen kann. Sie war in den charakterlichen Hemmungen gefangen, blieb aber immer am Leben.

Zu diesem Aspekt der Therapie ist eine Anmerkung notwendig: Oft hört man von Leuten, die „Reichianische Massage“ praktizieren. Das ist nichts anderes als eine grobe Entstellung der Arbeit am Muskelpanzer. In der Orgontherapie werden die Muskeln nicht „massiert“, sondern man hilft dem Patienten auszudrücken, was die Muskulatur in einem bestimmten Bereich zurückhält.

Um einen therapeutischen Effekt zu erzielen, ist es notwendig, daß der Patient und der Therapeut in Kontakt miteinander sind, der Therapeut genau weiß, an welchem Punkt der Patient ist und wie viel Energie sein Biosystem in diesem Moment aushalten kann und, nicht weniger wichtig, daß der Therapeut imstande ist, die ganze emotionale Wucht, die diese Vorgehensweise unausweichlich beinhaltet, „auszuhalten“. Natürlich ist es notwendig, daß derjenige, der diese Therapie ausübt, ein in Anatomie, Psychologie und Psychiatrie bewanderter Mediziner ist, der eingreifen kann, wenn sich auf psycho-physiologischer Ebene intensive Reaktionen zeigen.

Die Entscheidung, ob der psychische oder der muskuläre Aspekt der Panzerung angegangen wird, hängt einzig davon ab, wie sehr der Patient mit seinen eigenen emotionalen Hemmungen in Kontakt ist. Die Charakteranalyse konzentriert sich auf die charakterlichen Widersprüche und die Abwehr, während die somatische Arbeit unersetzlich ist, um die Emotionen auszudrücken, die der Patient spontan oder als Effekt der Charakteranalyse in sich „spürt“.

Die Orgontherapie ist eine außergewöhnliche Behandlungsmethode mit einem enormen Potential, aber wegen ihrer tiefreichenden Wirkkraft verlangt sie nach der größtmöglichen Aufmerksamkeit und bestmöglichen Ausbildung von Seiten desjenigen, der sie ausübt. Niemand, dem die entsprechende Ausbildung fehlt, käme auf die Idee, als Chirurg zu arbeiten. Orgontherapie ist sicherlich nicht weniger ernst zu nehmen als Chirurgie! Es geht stets darum, den Patienten zu entpanzern und nicht nur „die Panzerung zu kitzeln“.